Ein Text von: Rudolf Schramm
In einem Beitrag von Piroschka Dossi, einer deutschen Kunstkuratorin, die im Aufsichtsrat der artnet AG tätig war (oder noch ist?), geht es auch um die Frage „Woran erkennt man (gute) Kunst?“*
Zum nicht geringen Erstaunen des Lesers packt sie die folgende Antwort von Jeremy Deller, Turnerpreisträger 2004, aus. Er sagt einfach und lapidar: „Am Preis“.
Aha!
Frau Dossis Kommentar dazu: „Der Preis als definierender Bestandteil des Kunstwerks ist Kulminationspunkt einer Logik, in der Kunst nicht mehr zu sein scheint als ein Spiegel unserer Gegenwart und der sie durchdringenden Prinzipien des Marktes. Eine Voraussetzung für dieses „Nullsummenspiel“ zwischen Gegenwart und Kunst ist die Auflösung verbindlicher Qualitätsmaßstäbe. Was ist in der Gegenwartskunst Qualität? Diese Frage ist heute schwerer denn je zu beantworten.“
Wie wahr, wie wahr!
Aber halt! Da gibt es in Wien einen Mann, für den es anscheinend keinerlei Problem darstellt, eine eindeutige und höchst exakte Antwort zu formulieren. Lauschen wir den erhellenden Worten von Hubert Thurnhofer, Leiter des Kunstraums in den Ringstraßen Galerien:
„Was ist das Wichtigste an der Qualität von Kunst? Die ITÄT, sonst wird die Kunst zur Qual.
Das ist nicht nur ein Wortspiel, sondern lässt sich auch rational entschlüsseln: ITÄT, steht für
I = Idee (welche Idee liegt einem Kunstwerk zugrunde, ist es originell, originär, oder bloß epigonenhaft?)
T = Thema (wie ist das jeweilige Werk thematisch im Oeuvre des Künstlers einzuordnen, haben seine Werke Bezug zu den Themen der Zeit, verfolgt er Modetrends oder geht er seine eigenen Wege?)
Ä = Ästhetik (welche ästhetischen und kompositorischen Prinzipien verfolgt der Künstler, ist das Bild im konventionellen Sinn schön oder hässlich oder setzt es neue ästhetische Maßstäbe?)
T = Technik (werden Ideen, Themen, Ästhetik mit technischer Brillanz realisiert, wird die Umsetzung den eigenen Ansprüchen des Künstlers gerecht, kurz ist seine Technik State of the Art?)“
Na endlich einer, der konkret wird. Es taucht leider nur ein neues, schwer zu überwindendes Problem auf, besser gesagt, eine ganze Reihe davon: Wer entscheidet, ob eine Idee originär ist, ob das Werk Bezug zu den Themen der Zeit hat, was schön und was hässlich ist, wo man die neuen ästhetischen Maßstäbe kennenlernen kann – und wie man um alles in der Welt beurteilen können soll, ob die Umsetzung den eigenen Ansprüchen des Künstlers gerecht wird? Bitte schön, wie?
Also hat uns auch das nicht weiter gebracht.
Vielleicht aber ist alles viel einfacher als wir glauben. Denn wenn wir Piroschka Dossis Aussagen ein wenig weiter verfolgen, kommen wir dem Mysterium guter Kunst eventuell doch noch ein Stück weit näher. Sie sagt nämlich: „Was als Kunst gilt, bestimmen nicht mehr handwerkliches Können oder Regeln der Bildkomposition, sondern ein eng vernetztes Einflusssystem der Kunstbewertung, in dem Galeristen, Händler, Kuratoren, Kritiker und Sammler in wechselseitiger Beobachtung und Beeinflussung miteinander verflochten sind.
Die Experten des Kunstsystems geben ihr kulturelles und die Akteure des Kunstmarkts ihr finanzielles Votum für einen
Akteure des Kunstmarkts ihr finanzielles Votum für einen bestimmten Künstler ab, wobei sich die beiden Abstimmungen aufgrund der engen persönlichen und teilweise auch funktionalen Verflechtungen über den Zeitablauf angleichen, und entscheiden damit über dessen relative Bedeutung.“
Denn etwas einfacher ausgedrückt heißt obiges nichts anderes als: Es gibt im weltweiten Kunstmarkt (meistens dank selbstzugeschriebener Autorität* Anmerkung RS) eine Reihe von „Experten“, die in zweckdienlicher Einigkeit unter sich ausmachen, was gute und was schlechte Kunst und was sie kosten soll und kosten darf. Und vieles deutet darauf hin, dass sie damit so unrecht nicht hat.
Nach all dem, was ich zu diesem Thema gelesen, gehört und recherchiert habe, kommt die ernüchternde Quintessenz, die Frau Dossi präsentiert, der Wahrheit über den Kunstmarkt sehr nahe. Nicht aber unbedingt der Wahrheit über die zeitgenössische Kunst selbst.
Meine persönliche Erfahrung ist, dass man nach hunderten Besuchen von Galerien, Museen, Ausstellungen oder Künstlerateliers sehr wohl ein eigenes Gefühl für Qualität in der Moderne entwickelt. Hand in Hand damit geht die Entwicklung eines eigenen Geschmacks und eigener Vorlieben so wie auch Abneigungen. So gibt es einige weltweit angesehene und hochgelobte Künstler, die ich für unbegabt und scharlatanesk halte. Mein gutes Recht. Auf der anderen Seite kann ich mich für viele, viele Werke des 20. und 21. Jahrhunderts dermaßen begeistern, dass ich sie am liebsten allesamt Tag und Nacht um mich haben möchte.
https://www.welt.de/kultur/article1303099/Qualitaet-erkennt-man-am-Preis.html