Eine Serie von Interviews, aufgezeichnet von Rudolf Schramm
Folge 1: Ungarische Connections
Dr. P.:
Der Anstoß zur Beschäftigung mit der Kunst erfolgte durch meinen Zeichenprofessor in Budapest. Als ich elf war, ging unser Zeichenprofessor mit uns einmal in der Woche Fußball spielen, auf der Margaretenwiese am Fuße der Burg. Danach folgte immer ein etwa 20minütiger Besuch des Kunsthistorischen Museums, wo er uns jeweils ein einziges Bild vorstellte und erklärte – und uns mit dem Leben des Malers vertraut machte. Das war so etwas wie ein Deal: zuerst durften wir Fußball spielen, dann mussten wir zuhören. Ich weiß nicht, wie es den anderen Schülern dabei erging, aber in mir hatte der Lehrer einen Funken entzündet, der im Laufe der Zeit zur großen Flamme der Begeisterung für die Kunst wurde.
Ich habe ihn dann viele Jahre nicht mehr gesehen, ihn aber vor einigen Monaten wiedergetroffen – und ein Bild von ihm gekauft. Er erzählte mir, wie schwer es für ihn im kommunistischen Ungarn gewesen war, sich als Künstler zu betätigen. Damals wurden ja alle, die im weitesten Sinne mit Kunst oder Kultur zu tun hatten, misstrauisch beäugt oder sogar regelrecht verfolgt, sofern sie nicht im Sinne der Partei arbeiteten.
1965, im Alter von 13 Jahren, kamen wir nach Wien, wo ich das Gymnasium in der Fichtnergasse besuchte. Natürlich sprach ich anfangs sehr wenig deutsch. Ein ungarisch sprechender Religionsprofessor nahm sich meiner an und nach und nach verbesserten sich meine Deutschkenntnisse zusehends. Was die Kunst anbelangte, so bot Wien schon damals eine große Fülle von Möglichkeiten, sich zu informieren. Ich war ganz ohne System viel in Ateliers und Galerien unterwegs, sah jede Menge zeitgenössische Arbeiten und lernte zahlreiche österreichische Künstler persönlich kennen. Vorher war ich fast ausschließlich mit klassischer Moderne in Berührung gekommen – und zwar durch meinen Onkel in Ungarn, der auch Sammler war. Schon als Kind erlebte ich mit, dass er einmal eines seiner Bilder verkaufte und aus dem Erlös eine Eigentumswohnung für seinen Sohn erwarb. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie rar und kostbar damals Wohnungen in Budapest waren, kann man sich vorstellen, wieviel dieses eine Bild meinem Onkel eingebracht hatte. Ich war sehr beeindruckt.
Später, als wir in Speising lebten, fuhren mein um sieben Jahre älterer Bruder und ich oft in die Stadt und sahen uns Schaufenster an. Im Dorotheum entdeckte ich ein Bild eines unbekannten Malers, das mir sehr gut gefiel und das für einen ganz niedrigen Preis zu haben war. Das wurde mein allererster Kunstkauf.
Einer der Künstler, die mich mit ihrer Arbeit, aber auch als Persönlichkeit sehr beeindruckt haben, war Josef Mikl. Er kam ursprünglich als Patient zu mir. Er litt unter Kreuzschmerzen, wohl eine Folge der Tatsache, dass er jahrelang in gebückter Haltung gemalt hatte. Man hatte ihm zu einer OP geraten und er kam zu mir, um sich zu vergewissern, dass diese wirklich notwendig sei. Ich stellte schon bei der ersten Untersuchung fest, dass eine Operation nicht erforderlich war. In der Folge sind wir dann Freunde geworden. Er war, kann man schon sagen, eine etwas skurrile Persönlichkeit, vielleicht war er auch deshalb eng mit Qualtinger befreundet (lacht). Eine seiner Marotten war, immer ein kleines Kaffeehäferl mit sich zu führen, aus dem er dann im Cafè oder im Gasthaus den beim Ober georderten Wein trank.
Meine mentale Versöhnung mit meinem Heimatland Ungarn fand in den 90er Jahren statt. Damals besuchte ich in Linz eine Ausstellung ungarischer Avantgarde von 1920 bis 1980, die Peter Baum kuratiert hatte. Dabei lernte ich einige ungarische Künstler näher kennen, mit denen ich auch in Kontakt blieb und habe auch eines der ausgestellten Bilder erworben. In der Folge bin ich dann ein, zwei Mal wieder nach Ungarn gefahren. Das Bild, das ich gekauft hatte, war ein „Kopf“ von Akos Birkas, den ich immer als Ei gesehen hatte. Davon hatte er im Laufe der Jahre Dutzende in ganz unterschiedlicher Weise gemalt. Zu dem Zeitpunkt, als ich ihn kennenlernte, hatte er gerade zu einer mehr gegenständlichen Malerei gewechselt.
Eine wirklich beeindruckende Künstlerin, die ich kennen zu lernen die Freude hatte, war Hildegard Joos. Sie war lange Zeit als Sekretärin beim Vater einer meiner Freunde beschäftigt, der ihre künstlerischen Bemühungen schon seit vielen Jahren unterstützt hatte, ohne jedoch damit einen Impuls in der Öffentlichkeit erzielt zu haben. Als ich sie erstmals traf, war sie schon über 80 Jahre alt. Was mir besonders imponierte, war, dass sie auch in diesen fortgeschrittenen Lebensjahren noch immer neugierig und kreativ war und sich bisher unerprobten Techniken zuwandte. In den ersten Jahren ihres Schaffens hatte sie vorwiegend Landschaften gemalt. Danach lag ihr hauptsächliches Betätigungsfeld in der narrativen Geometrie. Ganz unvermittelt fing sie plötzlich an, monochrom zu malen. Ein ganz und gar ungewöhnliches Experiment, das sie ebenfalls erst in dieser späten Phase ihres Lebens durchführte, war, die Farbe mit den Handknöcheln statt mit dem Pinsel auf die Leinwand aufzubringen. Ich bin sehr glücklich, ein Exemplar dieser eigenwilligen Technik in meiner Sammlung zu haben.
Herbert Brandl habe ich schon als ganz jungen Maler kennen und schätzen gelernt. Damals hatte ich noch nicht die finanziellen Mittel, ein Bild von ihm zu erwerben, heute aber erfreue ich mich über einige davon an meinen Wänden.
Zahlreiche Arbeiten habe ich auch auf meinen Streifzügen durch Flohmärkte erworben und manchmal die Künstler von denen sie stammen, erst später kennengelernt, zum Beispiel Peter Dotrel, der vor 5 Jahren verstorben ist. Auf einem Trödlermarkt fand ich auch mein erstes Bild von Thomas Ritter. Später habe ich dann weitere von ihm bei seiner deutschen Galerie Depelmann gekauft. Eines Tages – es dämmerte schon – kam ein mit Bildern beladener Lastwagen vor mein Haus gefahren und Herr Depelmann stieg aus. Er packte eine Reihe von Werken Ritters aus und platzierte sie an den Alleebaumen direkt vor meinem Fenster, so dass ich sie alle noch bei Tageslicht betrachten konnte. Das war eine sehr berührende Szene.
Während eines Urlaubs in Madrid wurde mir einmal der Besuch eines „Künstlerviertels“ empfohlen, das sich aber eher als Trödlerviertel erwies. In einem der Schaufenster aber entdeckte ich ein mittelgroßes Bild, das mich spontan ansprach. Ich ging in den Laden hinein und machte dem Inhaber deutlich, dass ich diese und nur diese Arbeit ganz fantastisch fände. Auf seinem Gesicht erschien ein glückliches Lächeln und seine Brust schien anzuschwellen – denn es stellte sich heraus, dass er der Maler dieses Werkes war. Nachdem er lange Jahre versucht hatte, mit der Kunst seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, hatte er aufgegeben und diesen Altwarenladen eröffnet. Man kann sich seinen Stolz vorstellen, als er von mir „entdeckt“ wurde.
Sehr viel Anregungen und Kenntnisse habe ich dem Galeristen Hans Knoll zu verdanken, der seit Jahren Kunstreisen in osteuropäische Länder organisiert und durchführt. Jeweils 8 bis 12 Personen werden dabei durch Galerien, Ateliers und Künstlertreffs einer Stadt wie z.B. St. Petersburg oder Budapest geführt und es findet meistens ein reger Informations- und Gedankenaustausch mit einheimischen Künstlern, Kuratoren und Galeristen statt. Knoll kam ursprünglich vom Lande und hatte sich in den 80er Jahren in den Kopf gesetzt, eine Galerie zu gründen. Und zwar nicht irgendwo, sondern ausgerechnet in dem damals kommunistischen Budapest. Was für eine bizarre Idee! Die er aber – trotz erdrückend scheinender Bürokratie und gegen alle Hürden auch finanzieller Art – verwirklichen konnte. Natürlich waren die Anfänge, wie man sich gut vorstellen kann, alles andere als leicht. Aber als sich die Sowjetunion in Luft auflöste, war seine Galerie in der Hauptstadt Ungarns plötzlich ein heftig frequentierter Ort: westliche Kunstinteressierte und Kunsthändler nutzten Knolls Kenntnisse und Kontakte für einen Einstieg in die Länder des Ostens – und Künstler aus Ungarn, Russland, der Slowakei und anderen Staaten der Region drängten über ihn in den Westen. Er hatte alles richtig gemacht.
Nächste Folge: Ein Künstler mit Kindheitstrauma